Christina Laib

03.04.2013 10:41

 

 

Tatort Tor - Ergebnisse

Auf dem Rücken trägt er die Nummer Eins.
Der Erste beim Kassieren?
Der Erste beim Bezahlen.
Der Torwart hat immer die Schuld.

'Und wenn er sie mal nicht hat, zahlt er trotzdem die Zeche.
Wenn irgendeiner der Spieler den Strafstoß verschuldet, ist er der Bestrafte:
Dort steht er dann, seinem Henker überlassen, vor dem riesigen, leeren Netz.
Und wenn die Mannschaft einen schlechten Tag hat, bezahlt er die Rechnung
und sühnt im Hagel der Bälle die Sünden anderer.'(1)

Einen Blick auf den Kosmos der Torhüter haben wir bereits geworfen - von außen,

aus dem Blickwinkel der anderen, der Feldspieler, der Zuschauer, der Spielanalysten
- der Nicht-Torhüter.
Doch Fremd- und Selbstbild unterscheiden sich gewaltig, wenn es
auf den letzen Mann mit der Nummer 1 auf dem Trikot zu sprechen kommt.(2)

Für die Zuschauer ist er der große Held
oder der mindest genauso große Verlierer -
zwischen den beiden Polen liegt wenig,

aber eine Entscheidung für einen von beiden wird gefällt. Vielleicht liegt es daran, dass seine Leistung
so schön messbar zu sein scheint.
So klar - Ball gehalten - Ball rein gelassen.
Vielleicht liegt es auch an dem Platz auf dem Spielfeld, an den man nicht umhinkommt zu schauen;
und das eigene Trikot trägt das seinige dazu bei. Auch an den Medien kommt er nicht vorbei,
ein Kommentar über den Torhüter fehlt selten im Spielbericht und auch die Eskapaden auf
dem Platz von Kahn, Lehmann und Co heutzutage und Schumacher und Stein in der Generation zuvor beschäftigen die Presse ausreichend.

Für seine Mannschaftskollegen ist er nicht selten der 'spinnende' Außenseiter,
über den man abseits vom Spiel oft nicht viel weiß, der sich weniger als andere gemeinschaftlichen Aktivitäten außerhalb des Fußballfeldes anschließt und der als Torhüter automatisch
ein wenig 'anders tickt' als der Rest der Mannschaft.
So sieht 'die Welt' den Torhüter - doch die Frage lautet nun:

Wie sieht der Torhüter die Welt?

1 Aus dem (Alltags-) Leben ins Tor und zurück

An einem Samstag Nachmittag in der Oberliga Baden-Württemberg: Eine Stunde vor Spielbeginn. Im Stadion setzt Betriebsamkeit ein, die ersten Zuschauer trudeln ein, und die Fans sind bereits eifrig am Werk, was Vorbereitungen für Unter-stützungsmaßnahmen aller Art sowie Banner- und Fahnenaufbau angeht. Die ersten, die nun so langsam den frisch gestreuten Platz betreten, sind die Torhüter

der antretenden Mannschaften, die mit ihrem Warmmach-Programm beginnen. Ein wenig Ruhe vor dem Sturm genießen sie, die am weitesten voneinander entfernten Gegner des Tages, und teilen darin doch so etwas wie ihre eigene Gemeinschaft. Zu ihrer Unterstützung eilen kurz darauf die Ersatzspieler, um sie 'warm zu schießen'.

Der Torhüter ist erholt und betont ruhig. Er kennt die Abläufe im Schlaf, und so gibt es keinen Grund
für die morgens einsetzende Nervosität für etwas, was er mit der Sicherheit einer wöchentlichen,
wenn nicht täglichen, Routine erledigt. Er hat sich vorbereitet: Ist am Abend zuvor nicht um die Häuser gezogen, hat denFreunden, im besseren Wissen, was am darauf folgenden Tag ansteht, abgesagt, und sich rechtzeitig schlafen gelegt, Quereleien mit nahe stehenden Menschen aus dem Weg geräumt. Er ist rechtzeitig aufgestanden, um erst gar keine Hektik aufkommen zu lassen, hat ein leichtes Frühstück eingenommen. Nicht zu viel, nicht zu wenig - gesund und ausgewogen. He is prepared. Und folgt nun dem Gang derDinge, wie sie Spieltag für Spieltag auf ihre Weise ablaufen.

Es folgt der Rest der Mannschaft - geschlossen antretend zum Warmmachen. Der Torhüter zieht alsbald von dannen, 'trollt' sich vom Feld, um in der Kabine nochein wenig die Ruhe vor dem Sturm zu genießen, sich zu sammeln, Kraft zu tanken. Dazu gehört, die gesamte Montur nochmals zu wechseln, raus aus den Klamotten, rein in die Klamotten. Linker Stutzen, rechter Stutzen, linker Schuh, rechter Schuh - und das in keiner anderen Reihenfolge, einem ungeschriebenen Gesetz folgend.

Diese Minuten gehören ihm allein, und er nutzt sie, um ein wenig 'in sich zu gehen' und die für das Spiel
nötige Konzentration aufzubauen, vor dem geistigen Auge noch mal die wichtigsten Bewegungsabläufe durchzugehen: Die Schritte, die zugehen sind, um einen hohen Ball 'runterzupflücken' oder ein bestimmter Hechtvorgang. Dann wird es wieder laut, und mit der Ruhe ist es vorbei. Die Kabine füllt sich. An den kurzen Taktikbesprechungen klinkt er sich mehr oder weniger aus - die Taktik findet vor dem Strafraum statt, und es ist ihm ohnehin nicht möglich, Einfluss auf das Spiel in der Mitte des Feldes zu nehmen, er muss warten, bis es zu ihm kommt - das Spiel, und dann dafür gewappnet sein. Es werden ihm andere Fähigkeiten abverlangt als Strategie und Ausdauer. Er muss die Konzentration halten, 2x45 Minuten lang, um im entscheidenden Moment angemessen reagieren zu können. Die Handschuhe, das persönliche Heiligtum, werden geschnappt,
ein Kaugummi aufgetrieben, der nicht zuletzt die Spucke griffiger machen kann - penible Kleinigkeiten,
aber es kann einen Unterschied machen im entscheidenden Moment, und dafür ist es gut.

Und raus geht es. Passkontrolle und dann aufs Feld. An zweiter Stelle läuft der Torwart ein,
direkt hinter dem Kapitän (falls er es nicht selber ist).

Vor dem Anpfiff und der Positionsbeziehung führt der Weg zum gegnerischen Torwart wie jedes Mal. Man
schüttelt sich die Hände. Man wünscht sich viel Glück. Ironisch vielleicht im Hinblick darauf, dass das Glück eines Fußballteams nicht teilbar ist mit dem Gegner - nur einer kann gewinnen, oder keiner. Aber nahe liegender, da keiner dem Torwart so gut nachempfinden kann in dieser Situation, wie eben ein anderer Torwart. Und insgeheim wäre ein Null zu Null für diese beiden wohl ein idealer Ausgang - auch wenn sie damit alleine sein mögen. Im Tor angelangt kurz an die Querlatte gesprungen, auch fürs Glück. Ganz schnell. Anpfiff - das Spiel beginnt.

2 Der Weg ins Tor

Wie wird einer eigentlich Torhüter? Der alte Mythos der Untalentierten und weniger Beweglichen, die vom Trainer zwecks mangelnder anderweitiger Verwendung kurzerhand ins Tor gestellt werden, ist kaum mehr haltbar. Dafür ist die Position einfach zu wichtig. Zufall im Sinne eines
'zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein', trifft da schon eher zu.
Eine Kunst, die bei der Ausübung ihres Könnens stets gefragt bleiben wird.

Doch ihre Ausgangsposition finden sie dabei meistens im Feld. Rot gesperrt oder verletzt war oft der eigentliche Torhüter mitsamt Ersatzkeeper, und der kurzfristige Ersatz ließ in der Feuerprobe ein gewisses Talent versprechen - so beginnen die meisten Torhüterkarrieren- irgendwann in der Jugend. Zögerlich bis widerwillig gestalten sich dabei die ersten Schritte, denn eines ist klar - mit so viel direkt zurechenbaren Fehlern sieht man sich als kein anderes Mannschaftsmitglied konfrontiert.(3) ?Hab dann natürlich megamäßig viel Tore bekommen und es war irgendwie alles zuviel, hab dann auch nach dem Spiel und Gott, meine Eltern erzählen immer noch davon, geweint und wollte nicht mehr ins Tor und irgendwann hatte ich mal die Schnauze voll und bin dann rausgegangen ins Spielfeld und hab gesagt: 'Nö, ich will nicht mehr ins Tor gehen.' Dann durfte ich mal ab und zu mal draußen mitspielen. Hab da auch immer mal wieder ein paar Tore gemacht, aber das habe ich dann auch selber gemerkt, das macht mir einfach net so viel Spaß. Ich möchte halt lieber wieder ins Tor.' (GA-J-L, Z. 31 f.)
Die Identifikation mit der Spielposition hat begonnen. Früher und stärker wohl als bei den meisten anderen Positionen. 'Ich war mir natürlich noch nicht so im klaren was das für eine Position ist. Und ich hab mich dann im Tor wieder gefunden als Torhüter.'

3 Von der Einsamkeit des Torhüters

Da ist er nun im Tor gelandet, und von da an beginnt sein eigenes Spiel im Spiel. Er erhält einen Großteil 'gesondertes' und spezielles Training , mit einem eigenen Torwarttrainer, und erfährt dadurch auch
eine andere Sozialisation im Mannschaftssport Fußball. 'Aber ich denke halt mal, also, der Torhüter ist einfach eine Person im Fußball, der hat zwar eigenes Training, er hat keinMannschaftstraining. Also er trainiert meistens immer nur alleine und die Mannschaft trainiert eigentlich immer nur zusammen. Und die Mannschaft findet sich ja durch das Training ja immer, die sind ja eigentlich immer intensiv eigentlich zusammen und trainieren gemeinsam, und der Torhüter ist eigentlich immer alleine. Und sich da irgendwie in der Mannschaft zu integrieren, ist dann doch irgendwo ziemlich schwer.' (FK-M-L, Z. 233 ff.)
Er wird fast unweigerlich ein wenig zum Sonderling innerhalb der Mannschaft, ist nicht so sehr in das Mannschaftsgeschehen außerhalb des Feldes integriert und grenzt sich ein wenig aus. Das ist in Ordnung so für ihn, die Akzeptanz der Mannschaftskollegen ist wichtig, ebenso der Respekt vor seiner Leistung, aber das erfordert aus seiner Sicht nicht unbedingt eine Freundschaft abseits des Fußballs. Er hat seinen Platz gefunden, und das ist mehr oder weniger der eines Einzelsportlers innerhalb eines Mannschaftssports.
In der Vielzahl der Fälle muss er dafür in Kauf nehmen, mit seinem Posten auch den des Eigenbrötlers zu beziehen. Auch dies gehört höchstwahrscheinlich zu den Komponenten, die ihm die Eigenschaft 'wahnsinnig'
eingebracht haben. In einem Jugendbuch findet sich dazu eine eigene Erklärung:

'Manche behaupten, Torhüter seien wahnsinnig, aber ich halte sie nicht für wahnsinnig, sie sind einfach anders. Ein Torwart ist ganz allein auf sich gestellt. Zum einen ist er der einzige, dem es während des Spiels erlaubt ist, die Hände zu benutzen. Zum anderen, und das bedenken die meisten offenbar nie, verbringt er den größten Teil des Spiels allein in seinem Tor. Natürlich bei Eckbällen stellen sich ein paar Verteidiger ein und auch, wenn die eigene Mannschaft in Bedrängnis gerät, aber selbst wenn die eigene Mannschaft schwer bedrängt wird - wie viel spielt sich tatsächlich um das Tor herum ab, wie viel im Strafraum oder gar im Torraum? Wenig, sehr wenig. Ich finde, Fußball ist ein Mittelfeldspiel. Also steht man die meiste Zeit allein auf seiner Torlinie, läuft auf und ab, beobachtet, wartet, dass etwas passiert. Torhüter haben viel Zeit zum Nachdenken. Zu viel Zeit, wenn Du mich fragst:' (4)

Diese Zeit alleine im Tor fordert ihm einiges ab. Er kann sich nicht wie seine Kollegen auf dem Feld zwischen der Menge ein wenig verstecken. 'Als Keeper stehst Du eben auch dort im Mittelpunkt, weil nämlich der 93-jährige Alterpräsident und letzte Überlebende der Vorkriegsmannschaft den Keeper auf jeden Fall auch ohne Dress erkennt, eben weil er auf dem Sportplatz anders angezogen ist.' (FK-A-L+AS-o, Z. 208 ff.) Er 'muss' alles mit ansehen, ohne selbst aktiv werden zu können, solange der Ball nicht zu ihm kommt. 'Du musst viele Situationen erahnen schon. Wenn ich jetzt von mir ausgehe. ... Ja, Du bist nicht so in das Spiel eingebunden, die ganze Zeit. Du stehst eigentlich immer nur da hinten rum, wartest, was passiert. Und wenn was passiert, und Du bist nicht auf dem Posten, heißt es, der dumme Torwart, der ist daran schuld, der war nicht gut genug und hat den Ball reingelassen, und die anderen haben einfach, Feldspieler haben einfach mehr Aktionen.' (PS-J-L) Er kann seltenst agieren, nur reagieren und kann auch nicht unbemerkt mal Frust ablassen - den Zweikampf suchen - und so findet der aufgestaute Druck nicht wirklich ein Ventil.

4 Stress im Strafraum

Da steht er also im Tor, sieht das Spielgeschehen aus bester Perspektive und kann dennoch nicht eingreifen.
Er hat hart trainiert und ist stark angespannt. Das bringt die Konzentration mit sich. Mentale Stärke gehört neben den körperlichen Aspekten zu den wichtigsten Eigenschaft, die ein Torhüter für seinen 'Job' mitbringen muss.

Diese Konzentrationsfähigkeit bildet nicht zuletzt auch eine Art Unterscheidungs-kriterium zwischen 'den Guten' und 'den Schlechten'. Er kann sich jedoch körperlich lange nicht so ausleben wie die Feldspieler. 'Er steht da 90 Minuten oder länger, je nachdem, wie lange das Spiel halt dauert, im Tor, hochkonzentriert, voll, ja meistens voll angespannt, aber er kann diese Energie nicht rauslassen, außer bei diesen paar kurzen Einsätzen, die zeitlich gesehen sehr gering sind, wenn er mal nach dem Ball hechtet, wenn er mal eine Flanke abfängt oder so was. Das ist sehr gering unterm Strich.' (GAp-A-L, Z. 309 ff.)
Doch der Druck während des Spieles ist enorm. Selbst wenn sich ein Torhüter also nicht wirklich viel bewegen muss, sein Radius ist äußerst klein im Gegensatz zu den Feldspielern, die die Distanz der Spielfeldlänge wieder und wieder zurück legen (was sich im Verlauf eines Spieles gut und gerne auf 10-12 km erstrecken kann), zahlt sich seine Anstrengung genauso in Schweiß aus. Toni Schumacher meinte dazu in einem Interview:
'Torhüter müssen sich - anders als Feldspieler - geistig 90 Minuten lang auf einem hohen Level halten. Selbst wenn der Ball am anderen Tor ist, darfst Du die Konzentration nie unter 90% senken. Es ist zum Beispiel unmöglich, innerhalb weniger Sekunden von 70 auf 100% zu gehen. Diese permanente Anstrengung kostet Kraft, auch körperlich. Ich kann mich noch erinnern, dass ich während eines Spiels oft dreieinhalb Kilogramm abgenommen habe, obwohl ich nur sechs-, siebenmal den Ball berühren musste, und nur wenige Sekunden wirklich aktiv war.'(5)
Viele spektakulären (Würge- und Beiß-) Attacken und andere böse Fouls, die Zuschauer und Medien in Rage treiben, und die 'angegriffenen' Spieler erst recht, finden hierin ihren Ursprung.
'Den extremen Druck kompensieren viele, indem sie ein übersteigertes Selbstbewusstsein entwickeln (...)' (6) Das ist notwendig, um seine Position auszuführen.

'Denn ein Torwart, der sich für bezwingbar hält, ist kein Torwart. Ohne stabiles Selbstbewusstsein hält den Druck dieser Einsamkeit keiner aus.
Torhüter sind Egoisten, Eigenbrötler und Einzel-kämpfer (...).'(7)

'Die anderen spielen ihr Spiel, er spielt seines'!

5 Das Runde muss ins Eckige

Von Otto Rehagel stammt die Fußballweisheit: 'Der Ball muss ins Tor. Das ist die einzige Wahrheit.' Dies kommt sicherlich beinahe allen Beteiligten entgegen, und nicht zuletzt den Zuschauern, die oftmals die Qualität eines Spieles an der Quantität der gefallenen Tore messen. Entgegen der Philosophie der Torhüter jedoch, denn seine Maxime lautet, immer zu Null zu spielen. ?Egal was für ein Spiel das ist, ob das ein Freundschaftsspiel ist, Vorbereitungsspiel ist, ein Pokal- oder Verbandsspiel ist, ist völlig egal. Er will eine weise Weste behalten, er will kein Gegentor bekommen und die Mannschaft soll wegen mir 5, 6, 7, 8 : 0 gewinnen, ein gutes Spiel liefern und dann hat er seinen Job getan, das ist rein vom Ergebnis her der einzige Nachweis, dass er keinen Fehler gemacht hat.
Das ist der Punkt.

Deswegen, das ist hart aber das sagt man so, wenn da selbst, wenn die Mannschaft jetzt 7:1 gewinnt, deutlich spielt usw. mir ging's zumindest so, ich habe mich dann um das eine Tor immer geärgert. Weil, das war immer das zu Null und je mehr die gegnerische Mannschaft dominiert hat, desto eher wollte man das natürlich auch.' (GAp-A-L, Z. 440 ff.)

8

Jedes Gegentor wird als persönliche Beleidigung aufgefasst, ob er es mit verschuldet hat, oder es sich um einen 'Unhaltbaren' gehandelt hat - er verträgt es nicht. Selbst im Training fällt es ihm schwer, Tore zu kassieren.
Ja natürlich, also ich sag mal, es geht halt, also ich finde, es geht schon irgendwo um die Ehre bei der ganzen, oder um den Stolz, bei der ganzen Geschichte. Ich meine, sobald Du irgendwie, ich weiß nicht, ich als Torwart möchte nie, egal ob das im Training ist, oder im Spiel ist, als Verlierer vom Platz gehen. Das regt mich einfach auf, und dann werde ich wild. Aber das ist, damit kann ich auch irgendwo schlecht umgehen, wenn ich nur jetzt die Woche im Training anschaue, da haben wir am Montag und Dienstag ein Spiel gehabt. Am Montag und Dienstag hab ich glaub, 7 oder 8 Tore bekommen, haben klar verloren. Am Montag hab ich gemeint, ok, das ist einfach, ja, ist mal passiert, am Dienstag war die gleiche Situation noch mal, da hab ich bewusst kein Wort geredet und bin sofort heimgefahren, das hat mich so was von ..., ich konnte wirklich niemand mehr sehen, aber echt niemand mehr, weil es mich echt, ja aufgeregt hat. (GA-J-L, Z. 175 ff.)

Allein von der Zielsetzung her distanziert ihn dieser Umstand von der Mannschaft. Das 'zu Null' ist für ihn letzten Endes entscheidender als die Frage nach Sieg oder Niederlage. Und das macht ihn gewissermaßen egoistisch.
'Die Torhüter sind die Sonderlinge des Fußballs.
Immer hochkonzentriert sein zu müssen', sagt Lehmann ,
'das geht auf den Kopf.'
'Noch nie standen die Torhüter derart im Verdacht, bekloppt zu sein.'(8)
Ein Verdacht, der weit verbreitet ist, und den die Verdächtigen selbst nahezu gleichgültig hinnehmen und gewissermaßen auch akzeptieren.

6 Die Macken der Torhüter

Vom Linksaußen und vom Torhüter heißt es, sie haben einen 'an der Waffel'. Der eine muss die ganze Zeit mit dem verkehrten Bein den Ball spielen und der andere wirft sich freiwillig in den Dreck. Doch lassen wir ersteren mal (links) außen vor.

Gründe für die angebliche Verrücktheit der Torhüter sowie ihren Ursprung gibt es viele. Auch aus der Sicht der Torhüter selbst:

'Ich habe noch keinen Torwart
getroffen der nicht irgendwas 'an der Murmel' hat. Als Torwart muss

man einen
an der Waffel haben, um sich so was freiwillig anzutun. Bei einem Spieler passiert

nicht viel, wenn er einen Fehler macht, beim Torwart ist es meistens ein Tor.

dieser Druck, die Anspannung, auch die Möglichkeit ne gute Show abzuliefern macht den Reiz aus.

Entweder du warst super und hast alles gehalten, alles ganz
gut gelaufen.

Wehe du hast einen einzigen Fehler gemacht, die scheißen dich
zusammen ohne Ende.

Trotzdem geh ich wieder hin.' (FK-A-L-o, Z. 31 ff.)


Um alles
zu halten, investieren Torhüter so einiges. Meistens mehr an Trainingszeit, meistens mehr an

Vorbereitung. Der Fußball scheint ständig präsent zu sein, nicht
nur bei den Profis - bei den

Amateurspielern schlängelt sich das 'normale' Leben
gewissermaßen um den Fußball herum.

Und insgeheim hegt jeder noch seine ganz
eigenen Rituale - angefangen vom Kaugummi, über die

Kleiderordnung bis zum
Kultivieren der Handschuhe. Doch solcher Aberglaube ist auch unter Stürmern

weit
verbreitet, denen deswegen noch lange nicht ein gewisses Verrücktsein anhaftet.

Was steckt dahinter?

'Weil, es ist schwierig, also als Torhüter, es ist wirklich

schwierig, man hat es nicht einfach. Man hat es, es heißt auch immer, Torwart und

Linksaußen haben immer ne Macke, sicher, die Macke hat man schon irgendwo,

aber, jetzt nicht irgendwo, dass man sagt, hey die Macke ist irgendwie erkenntlich

irgendwo, die hab ich dann halt auf dem Platz, irgendwo. Die Macke habe ich im

Training, weil ich ganz anders trainiere, weil ich, ich sag immer der Torhüter

trainiert härter wie die Mannschaft selber, weil er einfach alles alleine machen

muss, er muss einfach, irgendwo sein, ich sag immer, da musst Du irgendwo ein

Egoist sein, auch als Torhüter, weil Du denkst eigentlich nur an Dich im Moment,

Du willst eigentlich nur die Leistung bringen. Für Dich selber und nachher das

übertragen für die Mannschaft, oder für den Verein, für den wo Du spielst.' (FK-ML,Z. 965 ff.)

Auffallend laut und lustig sind dabei die einen, die Spaßmacher, introvertiert und

zurückhaltend die anderen.

10
7 In der Ruhe liegt die Kraft

Aus dieser Ruhe tanken sie die Kraft und Konzentration für die mentale Anstrengung im Spiel. 'Ob groß oder klein - etwas brauchen sie alle, die Männer im Kasten: Vertrauen in die eigene Stärke. Wenn das fehlt, sieht auch ein Zwei-Meter-Mann immer alt aus.'(9)
Dieses Vertrauen können sie nicht zuletzt an die Mannschaft weitergeben. Denn ein Torhüter, der Ruhe und Zuversicht ausstrahlt, entlässt sein Team selbstsicher in die Offensive. Er bildet gewissermaßen den Ruhepool der Mannschaft, gibt Rückhalt für das Spiel nach vorne. '(...) Und die Mannschaft weiß, dass der hinter uns, da kann mal was durchgehen, aber es ist nicht immer gleich ein Tor, und ich denke mal, das beruhigt die Mannschaft schon auch.' (FK-M-L, Z.744 ff.) Doch genauso schnell kann sich das auch gegenteilig auswirken, ein Umstand der wiederum mitverantwortlich für die erhöhte An-spannung ist, der ein Torhüter ausgesetzt ist. 'Dann versuche ich auch, oder was ich mir als Aufgabe setze, einfach Ruhe auszustrahlen, ob es mir gelingt oder nicht, ist wieder eine andere, andere Seite. Aber das, das versuche ich schon, und ich merke auch wenn ich mal einen Ball, oder mal unsicher bin, das überträgt sich zu 90% auf die Mannschaft. Also das merkt man einfach. Wenn ich eine unsichere Aktion habe, dann kann ich wirklich alles darauf verwetten, dass die Mannschaft auch nicht 100%ig sicher ist. Vor allem im hinteren Bereich.' (GA-J-L, Z. 441 ff.)

Sie werden zu 'Botschaftern der Ruhe', was sie auch für ihr Leben jenseits des Fußballs mitnehmen, und eines stört diese Ruhe entgegen der populären Annahme bestimmt nicht - der Elfmeter.

8 Die Angst des Tormanns vorm Elfmeter

- Abrechnung mit einem Mythos

?Der Tormann überlegt, in welche Ecke der andere schießen wird' sagte Bloch. ?Wenn er den Schützen kennt, weiß er, welche Ecke er sich in der Regel aussucht. Möglicherweise rechnet aber auch der Elfmeterschütze damit, dass der Tormann sich das überlegt. Also überlegt sich der Tormann weiter, dass der Ball heute einmal in die andere Ecke kommt. Wie aber, wenn der Schütze noch immer mit dem Torwart mitdenkt und nun doch in die übliche Ecke schießen will? Und so weiter, und so weiter.' (10)

11 So lautet die Passage der literarischen Filmvorlage Peter Handkes, die das ihre dazu beigetragen hat, den Mythos von der Angst des Tormanns vorm Elfmeter aufrechtzuerhalten. Die Wahrheit ist, eher freut sich ein Torhüter auf einen Strafstoß als dass er sich davor fürchtet, denn er kann in dieser Situation nur gewinnen. 'Das ist einfach eine Herausforderung, ich kann nicht verlieren, und das ist gut, also beim Elfmeter kann der Torhüter eigentlich nie verlieren, und das ist für mich einfach nur, ja wie soll ich sagen, das ist eine Herausforderung eigentlich, aus 11 m, wo eigentlich der Schütze immer treffen müsste, einfach die Bälle zu halten. Egal wie, das ist egal wie, wenn er auch nur schwach schießt, oder das ist egal, aber wenn man diesen Ball hebt, das ist, das baut einen selber dann auf, irgendwo, und ich habe noch nie Angst gehabt vorm Elfmeter, weil ich mir immer gedacht habe, wenn er aus elf Metern nicht trifft, dann ist er selber schuld, also, eigentlich, weil das Tor ist 7,43 m breit, und da sollt man halt schon treffen dann irgendwo (...)' (FK-M-L, Z. 633 ff.)

Um das dennoch zu verhindern, verfügt der Torwart über ein paar Tricks (Wo schaut der Gegner zuerst hin? Wie nimmt er den Ball auf?) und einer Portion Intuition, mit deren Hilfe er abzuschätzen vermag, welche Ecke der Schütze anpeilt. Geht der Ball rein, so ist das nur normal, kann der Torhüter ihn abwehren, ist er der gefeierte Held. Und das, das ist er am allerliebsten.

(1) Galeano (2000): 13

(2) Auf dem Sprung in die Politik blickt beispielsweise der Ex-Keeper Jürgen Rollmann zurück, und beschreibt sich rückschauend als 'geselligen Einzelkämpfer', während sein damaliger Trainer andere Worte für ihn findet, und ihn einst als ?arroganten Dickschädel' titulierte. Vgl. Schröder (2003)

(3) Selbst Torhüter-Legende Sepp Maier war anfangs nicht begeistert von seinem Auftrag auf dem Feld. Vgl. Maier (1980)
(4) Glanville (1984): 7 - (5) Wiese (1999): 12 - (6) Westerheide (1999): 10 - (7) Beck (2002) - (8) Beck (2002) ö (9) Kemnr (2003)


(10) Handke (1978): 111

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